Mittwoch, 15. Juni 2016

Elenchophobie

Hey!
Ich möchte euch heute über eine bisher unbekannte Phobie aufklären. Ich nenne sie Elenchophobie, das kommt vom griechischen Wort élenchos (έλεγχος), das überprüfen oder kontrollieren bedeutet. Phobie kommt bekanntlich von fóvos (φόβος) und bedeutet Furcht. Der Name der Elenchophobie ist etwas irreführend, da es nicht um die Angst davor geht, etwas zu überprüfen. Ganz im Gegenteil, es handelt sich um die Angst davor, etwas nicht überprüfen oder kontrollieren zu können. Solltet ihr Vorschläge für eine passendere Bezeichnung haben, könnt ihr diese gerne in den Kommentaren vorschlagen. Eigentlich müsste man sie Phobie wohl Anelenchophobie nennen, aber ich glaube, dass es das Gegenstück, die Elenchophobie gar nicht gibt. Hm, vielleicht gibt es Menschen, die immer Angst bekommen, bevor sie etwas überprüfen, weil sie Angst davor haben, dass nicht mehr alles okay sein könnte. Jedenfalls gibt es auf Wikipedia eine Liste mit bekannten Phobien und darauf ist keine enthalten, die mit der Vorsilbe An- beginnt, deshalb habe ich vermutet, dass das für Phobien gar nicht üblich ist. Also ich finde, dass auch Elenchophobie passend genug ist, weil man sowieso genauer erläutern muss, was damit gemeint ist.
Das sollte ich jetzt langsam mal tun, sonst beschweren sich meine treuen Stammleser noch bei mir, dass ich nie zum Punkt komme. Und wir wollen doch nicht, dass sich die allwissende Elisabeth bei mir beschwert...
Jetzt beginnt also mein Geständnis: Ich leide an Elenchophobie. Ich habe die Angewohnheit, Fakten zu überprüfen, wenn auch nur der geringste Zweifel daran aufkommt. Ist es schon ein paar Jahre her, dass ich etwas irgendwo gehört oder gelernt habe, dann google ich diesen Sachverhalt, bevor ich mich dazu äußere. Im Laufe der Zeit ist diese Angewohnheit immer stärker geworden, ein bisschen außer Kontrolle geraten und hat sich zur Elenchopobie entwickelt. Es beunruhigt mich, wenn ich etwas nirgendwo nachsehen kann, wenn ich keinen Weg habe, es zu überprüfen. Es gibt so viele Fakten, die man leider nicht googeln kann.
Zum Beispiel das Geburtsjahr meiner Mutter. Ich glaube, dass ich es weiß, aber ich bin mir nicht ganz sicher und wenn ich das jetzt schon so sehe, wie wird das erst, wenn ich alt und senil bin (also in ungefähr 2 Jahren)? Wie heißt dieser eine Unimensch, mit dem ich irgendwie nicht auf Facebook befreundet bin? Ich kenne den jetzt seit 3 Jahren, jetzt kann ich ihn doch unmöglich fragen wie er heißt! Eigentlich möchte ich auch niemand anderen fragen, das ist doch richtig peinlich. Die sagen mir dann, dass jeder doch den Basti kennt und es ist ja nicht so, als hätte ich den Basti nicht vorher auch schon gekannt. Ich wusste nur gar nicht, dass er Basti heißt...
Ich habe Angst davor, zu vergessen, wie bestimmte Leute mit mir verwandt sind und wie sie heißen. Es könnte doch mal zu einer richtig peinlich Situation kommen, in der ich zum Beispiel meinen Freund vorstellen möchte und dabei bin ich mir gar nicht sicher, wie die Person heißt, die ich ihm vorstelle. Eigentlich muss ich mir darum keine Sorgen machen, weil mein Bruder so schlecht darin ist, sich die Namen zu merken, dass es überhaupt nicht auffallen würde, wenn doch auch mal ich dabei etwas falsch machen würde. Trotzdem ist das etwas, worauf ich mich gar nicht vorbereiten kann, was ich nicht verhindern und was ich nirgendwo nachsehen kann. Unheimlich.
Natürlich habe ich noch mehr Beispiele! Wie fahren wir normalerweise nach _____? Klar, man kann online nachsehen, wie man von A nach B fährt, das wird ja durch Google Maps immer besser, aber man kann nicht nachsehen wie mein Vater und meine Mutter normalerweise dorthin fahren würden (Wo parken wir normalerweise? Wie umfährt man die Baustelle? Wie fährt man, um Stau oder andere Wartezeiten zu vermeiden?).
Ich kann auch nirgendwo nachsehen, wie ich das letzte mal dorthin gefahren bin. Wenn ich es selbst nicht mehr weiß, dann ist diese Information einfach weg. Ich kann mich überhaupt nicht auf die Situation vorbereiten, wieder dorthin zu fahren. Klar, ich könnte einfach aufpassen, wenn ein anderes Familienmitglied dann mal dorthin fährt, aber ich bin leider extrem schlecht darin, dann tatsächlich aufzupassen. Mein Gedächtnis für bestimmte Wege ist einfach schlecht und ich bin auch schlecht darin, mir im vorhinein vorzustellen wie ich denn nun genau fahren muss. Zum Beispiel musste ich vor kurzem ganz alleine einen ganz kurzen simplen Weg nach Hause fahren. Ich wusste dass ich jetzt hier so und dann dort so fahren muss und habe versucht mir vorzustellen, wozu das ganze führt und waum ich dann am Ende zu hause landen würde. Das konnte ich gar nicht, ich bin also in der Befürchtung losgefahren, dass ich ab einem bestimmten Punkt gar nicht weiß, wo ich weiterfahren muss. Es stellte sich heraus, dass ich ohne Probleme nach Hause fahren konnte. Ich bin also wohl nur schlecht darin, mir den ganzen Weg vorzustellen, was es allerdings äußerst schwierig macht, gedanklich zu kontrollieren, ob man weiß, wie man irgendwohin fährt. Klar, zur Not könnte man auch ein Navi verwenden, aber für Strecken, die man eigentlich eh ständig fährt, wäre das ja peinlich. Nur fahre ich die Strecken ja gar nicht selbst regelmäßig, ich bin nur schon ganz oft mitgefahren...
Besonders schlimm ist es, wenn man nicht nachsehen kann, was genau ein Vortragender gesagt hat. Man erinnert sich noch daran, dass in der ersten Einheit genau erklärt wurde, wie die Lehrveranstaltung ablaufen wird, aber entweder ist die Mitschrift nicht mehr auffindbar oder man hat beschlossen, dass man sich das sowieso merken wird. Manchmal habe ich es mir sogar gemerkt, aber wenn ich 2 Monate später mit einem Unimenschen rede (dessen Namen ich leider nicht weiß und nirgendwo nachsehen kann) und er mir widerspricht, bin ich plötzlich ganz unsicher. Wie ist es denn nun? Habe ich mich verhört? Habe ich das falsch verstanden? Dann bin ich ganz beunruhigt, dass andere Informationen auch nicht stimmen könnten und das alles nur, weil irgendwo ein Widerspruch aufgetreten ist und ich nicht mehr nachprüfen kann, ob es wirklich so ist wie ich glaube.
Ich lebe auf jeden Fall in einer Zeit, in der man alles googeln kann und meistens sogar sinnvolle Ergebnisse erhält. Man muss sich nicht einmal merken, was man zu Mittag gegessen hat, davon gibt es doch schon Fotos auf Instagram. Ich schaue inzwischen einfach total oft Sachen nach, die ich eigentlich eh weiß wie zum Beispiel den schnellsten Weg mit der Straßenbahn und S-Bahn zum Flughafen. Könnte ja sein, dass ich doch vergessen habe, wie die Richtung heißt, in die ich muss. Eines Tages wird es etwas geben, dass ich wirklich nirgendwo nachsehen kann und wirklich niemanden fragen möchte. Dann werde ich mich in eine Ecke einrollen, weinen und mir eingestehen: Ich habe Elenchophobie.
Ich glaube, dass diese Phobei relativ weit verbreitet ist, aber da es bisher keinen Namen dafür gibt, habe ich einen erfunden. Der wird sich bestimmt durchsetzen. Oh, ihr werdet mir vielleicht sagen, dass ich nur unter kleinen Unsicherheiten leide und dass die Bezeichnung Phobie übertrieben ist. Das stimmt, ich bekomme keine Panikattacken, wenn ich mit Unimenschen konfrontiert bin, deren Name mir unbekannt ist. Meistens liegt das übrigens nur daran, dass sie auf ihrem Profilbild nicht selbst zu sehen sind. Wenn ich den Namen höre, denke ich eben nur an das Profilbild und wenn die Person da nicht zu sehen ist, dann weiß ich nunmal nicht, dass Max Mustermann der Typ mit der langen Nase ist, weil mir zuerst einfällt, dass er eine Blume als Profilbild hat. Jedenfalls ist meine Elenchophobie nicht besonders stark ausgeprägt, aber ich gehe davon aus, dass es Leute gibt, die dadurch eine ernsthafte Angststörung haben. Es gibt schließlich auch Leute, die panische Angst bekommen, wenn sie einen Schmetterling sehen, warum sollte es dann keine Menschen geben, die nicht damit umgehen können, dass der Geburtstag ihrer Oma nicht auf Facebook steht?
WOHER SOLL ICH DENN IHRERN GEBURTSTAG WISSEN, WENN ER NICHT AUF FACEBOOK STEHT? Das ist doch wirklich ein ernsthaftes Problem... Also konkret beim Geburtstag meiner Oma ist es so, dass mich meine Mutter daran erinnert, aber was mache ich denn dann, wenn es meine Mutter nicht mehr gibt? Und was sollen meine Kinder denn machen, wenn sie soetwas wissen wollen? Fakten, die ich nirgendwo nachsehen kann, erzähle ich doch nicht einfach so meinen Kindern... Was wäre, wenn ich mich doch irren würde? Dann würden die überall Blödsinn herumerzählen... Muss ich später wirklich selbst ganz genau wissen, wer mit wem wie verwandt ist? Also ich glaube, dass ich das eh jetzt schon weiß, aber ich möchte ja niemandem etwas falsches beibringen. Eigentlich wollte ich den Post schon beenden, aber mir ist noch etwas eingefallen, bei dem es viel schlimmer ist: Krankheiten in der Familie. Also einige Krankheiten weiß ich schon, aber man spricht ja nicht so oft über Krankheiten und bei manchen glaube ich eben, dass die mütterlicherseits relativ häufig sind, weiß aber keine Beispiele oder eben nur eines. Wie soll ich mir denn dann später überlegen, wie hoch das Risiko ist, dass ich oder meine Kinder Bluthochdruck, einen Schlaganfall oder Diabetes bekommen? Wenn es konkreten Anlass zur Sorge gäbe, könnte ich wohl wirklich meine Mutter fragen... Je länger ich über solche Themen nachdenke, desto mehr komme ich darauf, dass ich ohne meine Mutter total aufgeschmissen wäre, weil ich bei ganz vielen Dingen überhaupt nicht mehr herausfinden könnte wie es denn nun ist. Falls jemand panische Angst davor hat, dann hat er auf jeden Fall Elenchophobie. So ist das!


with a lovely greet
L.Shihit